„Jeder Wald ist ein Individuum“

Die Denkfehler des Rates für nachhaltigen Entwicklung


Prof. Dr. Reimar v. Alvensleben, Falkenberg

„Jeder Wald ist ein Individuum, das individuell behandelt werden muss. Das ist auch für geistig rege Forstleute ein Glück, sonst wäre Waldbau langweilig. Ich rate deshalb niemanden, das was er hier sieht, sklavisch nachzuahmen.“ Diesen Rat gab Prof. August Bier, einer der Pioniere der naturgemäßen Waldwirtschaft in dem bekannten Revier Sauen in Brandenburg, seinen Zuhörern in einem 1933 gehaltenen Vortrag. Angesichts der Diskussion um Zertifizierungsrichtlinien, „ordnungsgemäße Forstwirtschaft“ und eine möglichen Novellierung des Waldgesetzes, ist dieser Rat heute nötiger denn je. Was nämlich August Bier damals vordachte, wird inzwischen auch durch die moderne Umweltökonomie gestützt: Die Festlegung von überall und in jeder Situation gleichen Grenzwerten (z.B. Kahlschlaggröße, Baumartenanteile) führt immer zu suboptimalen Ergebnissen, d.h. zur Verringerung der „ökologischen Effizienz“: Die angestrebten ökologischen Ziele werden nur mit überhöhten Kosten erreicht. Die Möglichkeiten, Abwägungsentscheidungen bei Zielkonflikten zu treffen, sollten deshalb so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Dies gilt nicht nur für Zertifizierungsrichtlinien, sondern auch für gesetzliche Regelungen (Waldgesetze, Naturschutzgesetze), die ebenfalls zu einer Überreglementierung neigen. Eine Waldbewirtschaftung nach einem an jedem Standort und in jeder Situation einheitlichen Schema F, wie es dem Gesetzgeber offenbar vorschwebt, wenn er die „naturnahe Waldwirtschaft“ per Gesetz flächendeckend umsetzen will, ist ein Unding. Sie mindert nicht nur die ökologische Effizienz des Waldbaus, sondern ist zugleich auch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Hoheitsförster, die die neuen Regelungen überwachen müssen, und für Gerichte und Rechtsanwälte, die sich mit den zwangsläufig entstehenden Rechtsunsicherheiten beschäftigen werden.

Bedauerlicherweise unterliegt der Rat für nachhaltige Entwicklung in seinem neuen Papier vom 15.6.2004 zum Thema Waldwirtschaft dem gleichen grundsätzlichen Denkfehler, indem er zur flächendeckenden Umsetzung einer naturnahen Waldwirtschaft eine entsprechende Novellierung des Bundeswaldgesetzes fordert. Zwar setzt er zugleich auch auf die freiwillige Zertifizierung nach PEFC und FSC, verfällt sodann aber einem weiteren Denkfehler, indem er den FSC unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten und auf Grund seines partizipatorischen Ansatzes als „anspruchsvoller“ bezeichnet. Die häufig anzutreffende Annahme, die FSC-Richtlinien seien „strenger“ oder „anspruchsvoller“ und damit besser oder nachhaltiger, beruht auf einem Fehlverständnis des Konzepts der Nachhaltigkeit. Dieses beinhaltet bekanntlich eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimension. Soweit zwischen diesen Zielgrößen Konflikte bestehen, sind immer Abwägungsentscheidungen zu treffen. Hier bei ist das o.g. Kriterium der „ökologischen Effizienz“ zu beachten, d.h. die Frage: Werden die Umweltziele zu den geringsten Kosten erreicht? Eine Missachtung dieses Prinzips führt immer zu einer Minderung der Nachhaltigkeit der betreffenden Wirtschaftsweise. Da die PEFC-Richtlinien insgesamt mehr Flexibilität für Abwägungsentscheidungen zulassen, kann die Waldbewirtschaftung sich dem Standort und der jeweiligen Situation besser anpassen, damit eine höhere ökologische Effizienz erzielen und letztlich auch nachhaltiger erfolgen als bei Anwendung der sehr viel weniger flexiblen FSC-Richtlinien. - Fazit:

  • Generelle Behauptungen, dass eine oder andere Zertifizierungssystem sei anspruchsvoller, strenger oder unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besser, entbehren jeglicher sachlichen Grundlage.
  • Die Politik sollte den Mut haben, mehr auf die geistig regen Forstleute und Waldbesitzer und deren Eigenverantwortung statt auf mehr Reglementierung zu setzen. Eine naturnähere Waldbewirtschaftung wird sich schon aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr durchsetzen. Hierzu bedarf es keiner neuen Gesetze.